Donnerstag, 27. Juni 2013

Spaziergang durch das alte Yoshiwara 旧新吉原歴史散歩

Ein Spaziergang durch die hinteren Viertel von Asakusa brachte mich in die Welt des alten Freudenviertels "Shin-Yoshiwara" 新吉原遊郭, das ab dem Jahr 1657 seinen Sitz etwa 1,5 km nördlich vom Tempel Sensôji hatte.

Es ist praktisch nichts mehr übrig vom alten lizenzierten Prostitutionsviertel der Edo-Zeit, das so viel Leid aber auch kulturelle Eigenarten hervorbrachte, die sich bis in die bürgerliche Kultur erstreckten. Direkt im ersten Block von Nihonzutsumi 日本堤一丁目steht heute noch die alte "Mikaeri yanagi" 見返り柳, die Trauerweide, an der die Freier, die Shin-Yoshiwara verließen, sich noch einmal voll Sehnsucht umdrehten und einen Blick zurück in die Welt hinter ihnen warfen. Daher der Name "Trauerweide des Zurückblickens":

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Im eigentlichen Viertel, das damals bevölkert war von zahllosen Kurtisanen befindet sich heute eine eher skurrile Einkaufsstraße, in der die Manga-Figur "Ashita no Joe" あしたのジョー verehrt wird, die in diesem Viertel erfunden wurde. Von der alten Atmosphäre der "anderen Welt" ist dennoch einiges zu spüren, wenn man sich darauf einlässt: 

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Zwei weitere Orte in der alten Unterstadt von Asakusa sind untrennbar mit dem Schicksal der Kurtisanen von Shin-Yoshiwara verbunden: Der Tempel Jôkanji 浄閑寺 und der Schrein Yoshiwara Jinja 吉原神社.

Während des vernichtenden Erdbebens von 1855 starben  zahllose Prostituierte in Shin-Yoshiwara. Einige Quellen sprechen von mehr als 2.400 Todesopfern, darunter auch die Kinder der Frauen. Die Körper wurden im Tumult der Katastrophe in die Haupthalle des Tempels geworfen, gehüllt in eine einfache Strohmatte, die sonst nur Hinrichtungsopfern vorbehalten war ("aragomo" 荒菰). Seit dem wird der Tempel Jôkanji als "Nagekomidera" 投げ込み寺, also als "Hineinwerftempel" bezeichnet. Der Begriff gilt allgemein in Japan für Tempel, in denen Menschen kremiert wurden, die keine Angehörigen hatten oder den niedersten Schichten angehörten. Der Friedhof ist auch heute noch in Betrieb, ich war nicht der einzige Besucher.  An zentraler Stelle stand der berühmte Spruch: "Geboren im iridischen Jammertal, gestorben im Tempel Jôkanji" (生まれては苦界、死しては浄閑寺). Prostituierte in der Edo-Zeit galten als verflucht, wie viele andere, die nicht Teil der strengen, konservativen neo-konfuzianischen Gesellschaft waren. Im Volksglauben reinkarnierten sie daher nach der Beerdigung als Tiere. 

Ich habe bisher noch nie einen derart engen und ergreifenden Friedhof in Japan gesehen:

 
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Der Schrein "Yoshiwara Jinja" 吉原神社 dagegen war der Ort, an dem die Kurtisanen für ihr persönliches Glück am Teich der Benzaiten (die japanische Version der Sarasvati) beteten. Aber auch an diesem Ort schlug das Schicksal während des großen Erdbebens von 1923 zu: 490 Menschen starben am Teich der Göttin während der Katastrophe. Daher steht dort heute eine Kannon-Statue, die an die zahlreiche Opfer erinnert. Die Goldfische, die im dort wieder neu angelegten Teich schwimmen, sollen an die verstorbenen Kurtisanen erinnern:

 
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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Japan mit Deinen Augen zu sehen-eine gute Erfahrung.Schöne Aufnahmen,einfühlsamer Text:weiter so,denn dieser blog macht Lust auf mehr.